VertreterInnenversammlung
zur Wahl der BewerberInnen für die Landesliste der PDS Sachsen-Anhalt
für die Wahl zum 16. Deutschen Bundestag
am 10. Juli 2005 in Wittenberg
Rede als RTF
/ PDF
Dr. Petra
Sitte Wittenberg, 10.07.2005
Bewerbungsrede
Meine Entscheidung,
mich um die Nominierung für eine Bundestagskandidatur zu
bewerben, ergibt sich zunächst aus folgenden Gründen:
1. In der
Politik haben herrschende Meinung und Entscheidungen sowie Alltagserfahrung
tausender Menschen und gesellschaftliche Wirklichkeit immer weniger
miteinander zu tun.
2. Die Verfälschung
und Ausblendung des Zusammenhangs von Ursache und Wirkung sind
kennzeichnendes Prinzip von Politik geworden.
3. Individual-
und Gruppeninteressen werden in Politik und Ökonomie systematisch
verschleiert.
Diese ersten
drei Gründe, das wird Euch vielleicht aufgefallen sein, beziehen
sich ausdrücklich auf die Art und Weise Politik zu machen.
Ich habe diese
Gründe an den Anfang gesetzt, weil es für die PDS und
für mich nach wie vor darum geht, anders Politik zu vertreten!
Natürlich
hat die Art und Weise Politik zu gestalten, erhebliche Rückwirkungen
auf die angebotenen Inhalte von Politik.
Ja sie sind
im Grunde genommen geradezu Voraussetzung geworden, um diese Inhalte
überhaupt durchzusetzen!
Lasst mich
das einem Beispiel zeigen:
Der Glaube
an das vermeintlich segensreiche Wirken freier Marktkräfte
ist durch die Politik zum Dogma erhoben worden. Daraus resultierende
Irrtümer, Illusionen, falsche Leitbilder und Ziele haben
Akteure in Wirtschaft, Politik und Medien inkompetent für
die Wirklichkeit werden lassen.
Sie sind dadurch
auch unfähig geworden, einen öffentlichen gesellschaftlichen
Diskurs über andere Wege aus der Krise der Gesellschaft zu
führen.
Alternativen
werden diffamiert oder verleugnet. Man kultiviert sozusagen eine
eigene Version der Wahrheit. Ein weiteres Beispiel dafür
sind die Hartz-IV-Gesetze.
Ob das im
Einzelnen ein bewusster oder unbewusster Vorgang ist, kann uns
zunächst völlig gleichgültig sein, solange daraus
gesellschaftlich bedeutsame Entscheidungen erwachsen. Es sind
nämlich Entscheidungen, die hunderttausendfach für Lebensentwürfe
der Menschen den Daumen nach oben oder unten bewegen.
Und was für
mich auch eine Herausforderung bildet, ist die Tatsache, dass
diese Glaubenssätze ins Bewusstsein der Menschen einsickern
und ihren festen Platz in persönlichen und gesellschaftlichen
Wertvorstellungen erobert haben.
So wird eben
Arbeitslosigkeit immer noch als vernichtende persönliche
Niederlage empfunden. Dabei geht nicht nur das Einkommen verloren.
Ebenso geht das Selbstwertgefühl in den Keller und wichtige
soziale Bindungen erodieren.
Daher ist
es nur zu logisch, dass viele Menschen, die heute noch Arbeit
haben, nichts mehr fürchten, als diese Arbeit zu verlieren!
Und es ist längst nachgewiesen: Menschen fürchten nun
einmal den Verlust mehr, als sie möglichen Gewinn schätzen.
Das ist ganz wichtig für Prioritätensetzung in Politik!
Ein Grund
für dieses sich Persönlich-Schuld-fühlen,
liegt in der einseitigen Orientierung wirtschaftsliberaler Rechter
auf Eigenverantwortung und Individualismus, ohne dafür auch
nur im Ansatz die Voraussetzungen geschaffen zu haben.
Das heißt,
die Menschen haben den Druck der Verwertungslogik verinnerlicht!
Sie werden ja auch nicht mehr als Lohnabhängiger, sondern
als Arbeitskraftunternehmer dargestellt. Und so sollen sie dann
auch selbst für Ausbildung, Weiterbildung, Kranken-, Renten-,
Sozial- und Arbeitslosenversicherung sorgen.
Damit wird
ein gesellschaftliches Problem auf die individuelle Ebene transformiert.
Das ist ein ganz typisches politisches Mittel.
Deshalb sage
ich, dass wir in unserer Politik klare Vorstellungen über
realistische und glaubwürdige inhaltliche Alternativen vorzulegen
haben.
Und wir haben
uns auch scharfsinnig, offensiv und originell mit dieser Art von
Politik auseinander zu setzen.
- Ich finde
eben, dass wir den Menschen wieder Mut machen können und
müssen, aus eingefahren Denkgleisen auszubrechen.
- Ich will,
dass sich niemand mehr dafür rechtfertigen muss, wenn er
danach fragt, warum denn am Ende immer die Gleichen draufzahlen
und doch immer weniger dafür erhalten.
- Ich will
erreichen, dass niemand mehr ein schlechtes Gewissen hat, wenn
er sich dafür einsetzt, dass mit seinen Steuergeldern auch
wirklich Bildung, Sport, Kunst, Kultur, Soziales u.v.a.m. bezahlt
werden soll.
- Und ich
will auch, dass niemand mehr verlacht wird, wenn er fragt, ob
es nicht letztlich am Kapitalismus selbst liegen könnte,
dass bei der Lösung der großen gesellschaftlichen
Probleme Politik versagen muss, solange sie nicht die tiefen
ökonomischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge
in Frage stellt.
Wir haben
also in allen unseren politischen Vorschlägen davon auszugehen,
was die Menschen für sich selbst, für ihre Kinder und
für ihre Mitmenschen wollen!
Ihr habt es
vielleicht gemerkt, mit diesen Feststellungen habe ich auch schon
begonnen, die inhaltlichen Gründe für meine Kandidatur
zu erklären.
Ihr wisst
ja, dass ich seit vielen Jahren Wissenschaftspolitik betreibe.
Aus der Beschäftigung mit diesem Thema ist mir Stück
für Stück auch aufgegangen, worin ein tragfähiger
Ansatz für zukunftsfähige Politik bestehen könnte.
Daher haben
für mich die Parteitagsbeschlüsse von Leuna und von
Wittenberg eine ganz besondere Bedeutung.
Lasst mich
das kurz erklären, weil ich glaube, dass es schon so Manchem
helfen könnte, diesen Ansatz noch offensiver zu vertreten.
Was wir in
Leuna und unlängst in Wittenberg zum Thema Innovation
beschlossen haben, entspringt nämlich einem anderen gesellschaftlichen
Ansatz zum Umgang mit Wissensformen und Wissensinhalten.
1. Wir gehen
in unseren Konzepten nicht von der Kapitalisierung von Wissen
aus. Allgemeines lebendiges Wissen und Alltagskultur sind für
uns Gemeingüter. Deshalb setzen wir uns gegen die Privatisierung
von Zugangsmöglichkeiten und Zugangsrechten ein. Diese Privatisierung
erst ermöglicht nämlich Kontrolle, ermöglicht Verknappung
und macht diese Gemeingüter zu Waren! Das unterscheidet uns
von allen anderen Parteien!
2. Wissen
zu kapitalisieren, heißt Wissen auch konsequent dafür
einzusetzen, dass immer mehr lebendige und bezahlte Arbeit eingespart
wird. Also folgt immer weniger Arbeitsplätze, immer
weniger Menschen ohne Einkommen aus Arbeit, immer weniger Kaufkraft.
Über
die Umsetzung dieser Verwertungslogik wird viel mehr Wert zerstört
als geschöpft wird.
Daraus wiederum
ergibt sich für die kapitalistische Ökonomie in zweifacher
Hinsicht ein existenzielles Problem:
Erstens
das Problem der Zahlungsfähigkeit der Nachfrage nach Produkten,
die mit immer weniger Arbeit produziert werden und
zweitens das
Problem, dass Wissen als ein Produkt wiederum angeeignet werden
muss, um überhaupt erneut als Kapital fungieren zu können.
Aus diesen
Gründen und auch hier unterscheiden wir uns von allen
anderen Parteien wenden wir uns gegen Monopolstellungen
bei Zugang und Anwendung von Wissen.
3. Wir wollen
die schrittweise Besitzergreifung bzw. Privatisierung von heute
noch öffentlichen Räumen, die Kontrolle über Alltagskultur,
über Gemeingüter und über Umwelt verhindern. Mit
diesem politischen Ziel stehen wir nicht allein. Schon heute gibt
es weltweit aber auch in der Bundesrepublik Gruppen und Initiativen,
die ebenfalls eine Privatisierung aller Lebensbereiche ablehnen.
Da kann sich
eine Linkspartei wirklich profilieren ... und zwar über zukunftsfähige
politische Inhalte!
Es kann in
dieser Situation also nicht darum gehen, den Blick vor allem nach
Innen zu richten! Wir haben uns den beachtlichen gesellschaftlichen
Erwartungen an eine Linkspartei zu stellen! Dieser Verantwortung
müssen wird gerecht werden.
Alles noch
Offene, Kritiken und anderes höchst Problematische müssen
wir nacharbeiten. Und mit Verlaub gesagt Manches
von dem, was ich höre, wirkt schon ein wenig selbstgerecht.
Denkt doch
bitte einmal 15 Jahre zurück. Wir haben damals oft genug
und ungeprüft vermeintlich linke Positionen übernommen.
Jahre später erst haben wir durch lange Diskussionsprozesse
bemerkt, dass sich Manches eben als nicht tragfähig erwiesen
hat.
Aktuell geht
es als erstes darum, den Wahlkampf erfolgreich zu bestehen.
Dann gehen
wir in einen zweijährigen Diskussionsprozess, an dessen Ende
eine neue Partei stehen soll. In dieser Zeit werden wir manche
Auseinandersetzung wiederholt führen müssen, weil es
anderen Menschen auch nicht anderes ergeht, als uns vor fünfzehn
Jahren.
Nach diesen
zwei Jahren werden wir schlauer sein, werden wir mehr wissen.
Und damit
bin ich zugleich wieder bei meinem Thema:
Wissen erweitert
sich nämlich um weiteres Wissen, wenn es genutzt und geteilt
wird. Nur wenn es sich leicht zugänglich verbreiten kann,
wird es auch zur Quelle weiteren Wissens!
Wer es weitergibt,
verliert es nicht. Und der Konsum von Wissen zerstört nicht,
sondern schöpft weiteres Wissen.
In diesem
Vergesellschaftungsansatz liegt unser gesellschaftsverändernder
Anspruch.
Die Privatisierung
von Wissen widerspricht also nicht nur seinem eigenen Wesen, sondern
verschärft maßgeblich die Krise dieser Gesellschaft.
Aber in dieser Krise liegt dann auch der Neuanfang! (Das riecht
nach Marx und Engels...!)
Abschließend
will ich sagen:
Ein Wirtschaftswachstum,
das auf der Plünderung von Gemeingütern und dem Abbau
des Gemeinwesens gründet, bringt nicht mehr Wohlstand, sondern
Selbstzerstörung auf dem Rücken der Menschen hervor!
Letztlich auch um den Preis der Zerstörung der eigenen ökonomischen
Basis!
Diesen strategischen
Ansatz gilt es in unseren politischen Vorschlägen zu verankern.
Damit können wir der öffentlichen Debatte eine neue
Perspektive geben!
Eine solche
Chance war und ist für mich treibendes Motiv, diese Kandidatur
anzustreben. Ihr merkt, ich werde mich auch weiterhin nicht hinreißen
lassen, Billigrezepte anzubieten.
Und ich hoffe
sehr, Ihr nehmt mich so wie ich bin; hoffe weiter, dass das Eure
Akzeptanz findet und Ihr mir für diesen Politikansatz auch
Eure Stimme gebt.
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